Artikel „Esslinger Zeitung“ 25.04.2016

Beim Torball übernehmen die Ohren das Sehen

OSTFILDERN: Deutsche Nationalmannschaft gewinnt das Edgar-Knecht-Gedächtnisturnier

Von Andrea Ambos (Esslinger Zeitung)

Bild aus der Esslinger Zeitung

Liegend versuchen die sehbehinderten Spieler das breite Torabzudecken. Am Leinen hängende Glöckchen geben Orientierung. Ambos

Konzentrierte Ruhe, sechs Ballspieler bringen sich in Position. Das Ungewöhnliche dabei: Die Sportler sehen nichts. Sie tragen Augenmasken, die kein Licht durchlassen. Das Spiel nennt sich Torball und ist mit der Variante Goalball seit 1976 offizielle Disziplin der Paralympics. Am Samstag richtete die Behindertensportabteilung Torball des SV Hoffeld ein internationales Torballturnier in Ostfildern-Kemnat aus. Anlass war der zehnte Todestag des langjährigen Abteilungsleiters Edgar Knecht.

Knecht hatte nach dem Zweiten Weltkrieg im Alter von zwölf Jahren sein Augenlicht verloren, als er mit gefundener Munition spielte und diese in den Händen des Kindes explodierte. Heute, rund 70 Jahre nach dem Krieg, trainiert in der Behindertensportabteilung des SV Hoffeld ein junger Mann, der als Flüchtling vor dem Krieg im Nahen Osten nach Deutschland gekommen war.

Drei Spielfelder, getrennt durch flexible Trennwände, wurden in der Kemnater Sporthalle bespielt. „Die Trennwände brauchen wir, um die Spielfelder akustisch voneinander abzugrenzen“, erklärte Organisator Alexander Knecht. Der nicht sehbehinderte Sohn von Edgar Knecht ist selbst aktiver Spieler und Abteilungsleiter der Behindertensportabteilung Torball im SV Hoffeld. Dank der Augenmasken sind auf dem Spielfeld für Sehbehinderte mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen wie auch für Spieler ohne Sehbeeinträchtigung gleiche Voraussetzungen hergestellt. Dadurch rückt ein anderer Sinn in den Vordergrund: Die Aufgabe der Augen übernehmen nun die Ohren. Das Spielfeld umfasst eine Fläche von 16 Metern Länge und sieben Metern Breite. Das 130 Zentimeter hohe Tor erstreckt sich über die gesamte Spielfeldbreite. Über die Breite sind im Zentrum des Spielfeldes auf einer Höhe von 40 Zentimetern drei Leinen gespannt, an denen sich Glöckchen befinden. Der Abstand zwischen den Leinen beträgt jeweils zwei Meter. Der Ball muss ohne Berührung unter den Leinen durchgerollt werden. Jeweils drei Spieler einer Mannschaft bewegen sich vorzugsweise mit dem ganzen Körper am Boden vor ihrem jeweiligen Tor. Zur Orientierung sind dort drei Stoffmatten aufgeklebt. Rollt der ebenfalls in seinem Inneren mit Glöckchen ausgestattete Ball an, strecken sich die Spieler vor dem Tor in ihrer ganzen Länge aus, um ihn abzuwehren. Das Ganze ähnelt einer sehr präzise einstudierten Choreografie. Die konzentrierte Ruhe im Raum erzeugt zusätzliche Spannung und vermittelt dem Zuschauer eine Ahnung von der sportlichen Höchstleistung, die die Spielerinnen und Spieler während der Spielzeit von zweimal fünf Minuten erbringen.

Nach Aussage Knechts ist Torball unter Sehgeschädigten die am weitesten verbreitete Mannschaftssportart. Besonders beliebt ist sie in Deutschland und Mitteleuropa. Zum Edgar-Knecht-Gedächtnisturnier am Samstag waren Mannschaften aus der gesamten Bundesrepublik, Frankreich, Österreich, der Schweiz und Italien angereist. Unter den zwölf Herren- und acht Damenmannschaften befand sich auch der aktuelle Deutsche Meister der Damen, die SG SV Hoffeld/Karlsruhe/München, die am Ende den Turniersieg mit nach Hause nahm. Bei den Herren siegte die Deutsche Nationalmannschaft.

Artikel übernommen aus der Esslinger Zeitung vom 25.04.2016

 

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